(c) Stefan Scheffler
Es gibt nur wenige handschriftliche Dokumente von William Shakespeare. Die bekanntesten, noch existierenden Tintenlinien, die tatsächlich aus seiner Feder aufs Papier geflossen sind, finden sich unter seinem Testament. Ein Dokument seiner Zeit, ein Dokument eines wohlhabenden Mannes, der den Nachlass klug verwaltet wissen möchte, den Töchtern Judith und Susanna werden exakte Erbauflagen gemacht - eine bekommt das geringste, die andere das meiste - sie waren schon zu Lebzeiten unterschiedlich im Erfolg und in der Gunst des Vaters, soviel man nachlesen kann. Der Sohn Shakespeares, Hamnet, starb als Kind, er war der Zwillingsbruder Judiths.
Der Streit der Interpreten macht sich an der Formulierung für den Nachlass der Ehefrau fest: "Item I give unto my wife my second-best bed with the furniture." Anne Hathaway war acht Jahre älter, als sie William heiratete, er 18, sie 26. Über die Muss-Ehe Shakespeares sowie seine Übersiedlung nach London, wo er ohne Anne seine Karriere auf den Weg brachte, ein Theater leitete, der größte Dichter aller Zeiten wurde, gibt es viele Spekulationen, wenig ist belegt. Die Juristen weisen darauf hin, dass Anne als Ehefrau rechtlich ein Drittel des Vermögens ihres Mannes zufiel, deshalb sei das zweitbeste Bett eine Zugabe. Die Bettverteidiger sagen, es sei ein enormer Wert, vielleicht sei es das gemeinsame Bett gewesen, dann wäre das Bett sogar ein ideeller Wert - das erstbeste Bett sei meist der Repräsentationsgegenstand, das Bett, in dem die besten Gäste untergebracht wurden. Den Testamentsvergleichern fällt auf, dass eine liebkosende Erwähnung der Ehefrau in Shakespeares Testament fehlt - sie sei damals nicht unüblich, ergo: Das zweitbeste Bett sei ein weiterer Beleg für die lieblose Ehe der beiden. Mir tut Anne Shakespeare leid aus unterschiedlichen Gründen. Außerdem glaube ich, dass ein Schriftsteller William Shakespeare über Konnotationen von Formulierungen und Wörtern meisterhaft Bescheid wusste, aber das ist reine, unwissenschaftliche Spekulation. Im Shakespearehandbuch von Frau Schabert kann man allerdings wissenschaftlich fundiert nachlesen, dass ein anderer Ausspruch William Shakespeares wohl seine intendierte Wirkung entfaltet hat: Bis heute habe die angedrohte Verfluchung auf dem Stein jeden Grabfrevel verhindert: "... curst be he yt moves my bones."
Fotos außen: Ann und William Shakespeare (auf Wikimedia Commons, public domain); Mitte: Grabplatte Shakespeares von Tom Reedy: Shakespeare's grave epitaph (CC BY-SA 3.0).
"On Margate Sands I can connect nothing with nothing." Selten habe ich einen Text so lange vor mir hergeschoben, angefangen, weggelegt. Aber wenn jemand ein Gedicht mit diesem Titel schreibt "The Wasteland", dann werde ich nicht an ihm vorbeikommen. Die Biographie von T.S. Eliot habe ich bis heute weggeblendet. Aber als innere Stimme höre ich bis heute immer wieder Verse, sie tauchen aus einer Tiefe auf und sind dann plötzlich da: The boat responded. Gaily, to the hand expert with sail and oar. Als ich das Gedicht anfing zu lesen, wusste ich, dass jetzt Zeit notwendig war, und weil ich in der Nähe von Margate lebte, fuhr ich an den Strand, damit das Gedicht sich mir erschließt. Ich habe den Sand durch die Finger rinnen lassen, es passierte nichts. Der Fund war wieder einmal in der Bibliothek versteckt. Eine LP, der Autor liest sein Gedicht. Ich hatte keinen Plattenspieler, aber irgendwann war das Gedicht in meinem Ohr und mit dem, was ich hörte, kam ich näher an den Text ran, als jedes Lesen es mir ermöglicht hätte. In der U-Bahn in Berlin höre ich mit dem Blick auf die reflektierenden Scheiben dann die Sätze, den Singsang, das Gebet - damals kannte ich noch nicht den Begriff Mantra. Wieder ein Amen, diesmal heißt es Shantih. Für eine Hausarbeit reichten diese Gedanken. Später musste ich für das Examen Chaucer lesen, jeder scheint die Verbindung zu kennen, dann kannte ich sie auch:
Geoffrey Chaucer: The Tales of Caunterbury (1387)
Whan that Aprill with his shoures soote
The droghte of March hath perced to the roote,
And bathed every veyne in swich licour
Of which vertu engendered is the flour;
Whan Zephirus eek with his sweete breeth
Inspired hath in every holt and heeth
The tendre croppes, and the yonge sonne
Hath in the Ram his halve cours yronne,
And smale foweles maken melodye,
That slepen al the nyght with open ye
(So priketh hem nature in hir corages);
Thanne longen folk to goon on pilgrimages ...
T.S. Eliot: The Burial of the Dead
(1922)
April is the cruellest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.
Summer surprised us, coming over the Starnberger See
With a shower of rain; we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten,
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
Das Foto oben zeigt einen Ausschnitt aus Prufrock und das Hören des Gedichts kann man heute sehr viel schneller organisieren: https://www.youtube.com/watch?v=CqvhMeZ2PlY
Foto links: Eine Chaucer-Handschrift mit Autorenpoträt. Das Foto unten rechts zeigt T.S. Eliot als zweiten von rechts unten (beide auf Wikimedia Commons, public domain).
Mein liebgewonnener zwîvel, es heißt, du bötest die Chance zum Abwägen. Meine Erfahrung sagt mir: Wenigstens beim Billard und beim Balancieren ist der Zweifel der Anfang vom Scheitern. Mehr zum zwîvel findet sich in der Vorrede zum Parzival, gelesen und kommentiert von Peter Wapnewski, Audio Books, Der Hörverlag, Produktion SFB 1997.
(c) Jean-Pierre Letourneur
Über Freunde oder Aphorismen viel zu schreiben, verdirbt die Qualität des Originals. Deshalb werden hier nur einige Originale für sich sprechen, ich habe die Erlaubnis des Abdrucks, vielen Dank. Viel schreiben könnte ich trotzdem - über Aufrichtigkeit im Umgang mit sich selbst, die Virtuosität der Sprachvielfalt, die am Ende im Bild und Klang der Mundart ihre Tiefe findet. Über das Gitarrenspiel und den Respekt, den derjenige gewinnt, der sich nicht von Bürokraten den Auftrag des Lehrers verwässern lässt ...
In den Büchern von Jean-Pierre Letourneur gehen die klugen Worte großer und kleiner Leute eine Symbiose mit dem Bild ein, das ihnen hinterlegt wurde, deshalb geben die Worte hier immer nur einen Teil der ganzen Wahrheit wieder.
Nicht fest Verwurzelte
fürchten das Fremde.
Qui n'est pas fermement
enraciné craint l'inconnu.
(jp)
La haine, c'est l'hiver du cœur.
Hass ist der Winter des Herzens.
(Victor Hugo)
Die Fesseln der gequälten Menschheit
sind aus Kanzleipapier.
Les chaînes de l'humanité tourmentée
sont faites de papiers de chancellerie.
(Franz Kafka)
Un esprit vide est l'atelier du diable.
Ein hohler Kopf ist des Teufels Werkstatt.
(Proverbe)
Pour faire du bon boulot, il faut de bon outils.
Mais fais gaffe à ce que tu restes leur maître.
Für gute Arbeit braucht man gute Werkzeuge.
Aber sieh zu, dass sie dich nicht beherrschen.
(Eugène Letourneur)
Wirtschaftspolitik sollte nach der Errichtung des Schlaraffenlandes für alle streben.
L'économie devrait avoir en ligne de mir un Pays de Cocagne pour tous.
(jp)
Pläne haben heißt der Zukunft zuvorkommen.
Avoir des projets, c'est devancer l'avenir.
(jp)
Ierscht die Paif oh - dann de Gaul aus em Groawe.
Allumer une pipe d'abord - sortir le canasson du fossé après.
(Kröffelbacher Weisheit)
Wer nach allen Seiten offen ist,
kann nicht ganz dicht sein.
Qui est ouvert pour tout,
a obligatoirement une fuite.
(Kurt Tucholsky)
Alles hat seine Zeit.
Chaque chose a son heure.
(Prediger 3.1)
Vieles findet Mr. Savage befremdlich in der Schönen Neuen Welt, die Aldous Huxley visionär gestaltet hat. Aber einmal wird es zu viel und er muss sich übergeben - wenn ich mich recht entsinne, sind es sogar zwei Gelegenheiten - aber der Anblick der Arbeitsbedingungen in der Fabrik für Helikopterbeleuchtung zwingt ihn dazu, sich hinter dem Lorbeerstrauch übergeben zu müssen.
Dreiundachtzig fast nasenlose, schwarze, rundschädelige Deltas standen an den Kaltpressen. Die sechsundfünfzig vierspindeligen Drehbänke wurden von sechsundfünfzig adlernasigen, rothaarigen Gammas bedient. Hundertsieben auf Hitze genormte Epsilon-Senegalesen arbeiteten in der Gießerei. Dreiunddreißig weibliche Deltas, langschädelig, flachsblond und enggebaut, keine mehr als zehn Millimeter größer oder kleiner als ein Meter neunundsechzig, fertigten Schrauben an.
Im siebzehnten Kapitel kommt es zum großen Schlagabtausch zwischen Mustapha Mond und "the Savage".
Welches Argument kann es gegen eine perfekt auf Effizienz gestaltete Welt geben, dieser Welt, in der es beim kleinsten Zweifel eine Volksdroge Soma gibt ... ? "I'm claiming the right to be unhappy [...] Not to mention the right to grow old and ugly [...] the right to be tortured by unspeakable pains of every kind." Alles ist besser als der Schein der Perfektion im Glanz für die Wenigen bzw. im Schatten der Versklavung der genetisch degenerierten Vielen.
Leider sind viele Bilder, die ich hierzu zeigen wollte, meist mit undurchschaubarem Urheberrecht geschützt, man kann die Stichworte in die Suchmaschine eingeben: Textilindustrie, Schuhfabrik, Fabrik in ... und dann setzt man die Länder ein oder so.
Foto: Fahad Faisal: Garments Factory in Bangladesh (CC BY-SA 3.0).
Dies kann man schnell abhandeln: Wenn es eins nichts gibt, ist es die Normalität. Dazu reichen einige Liedzeilen eines Popsängers Andreas Bourani. So sinngemäß weist er uns in seinem Lied darauf hin, dass wir auf einem rotierenden Stein leben, der sich um einen Feuerball dreht. "Und du glaubst nicht an Wunder?" - seine Frage. Falls es unter diesen Lebensbedingungen doch eine Normalität geben sollte, wird sie mit dem Cartoon von Edward Monkton in die Schranken gewiesen. Bei Edward Monkton findet man den stolzen Überwinder der nur bedingt beruhigenden Kategorie der Normalität. Vielen Dank an den Cartoonisten (Giles Andreae alias Edward Monkton), der mir die Wiedergabe des Cartoons erlaubt hat:
(c) Edward Monktons Cartoon findet man auf seiner Seite: http://www.edwardmonkton.com/gallery/#.WhvXhY2Wy74
Harold zeigt Maude seine Lieblingsplätze: Autofriedhöfe, Abbrucharbeiten. Sie akzeptiert die Auswahl, setzt ihnen aber ein Aber entgegen: She took the bite of a carrot. "But I ask you, Harold," she said, munching solemnly. "Is it enough?" Es folgt ein Plädoyer für das Leben, filmisch wunderschön umgesetzt: Entweder man schaut den Film, das ist bei diesem Film wohl das beste, oder man sucht mal nach "Harold and Maude" - flower scene ...
(c) Jean-Pierre Letourneur & Stefan Scheffler
Es ist erstaunlich, wieviel Obst und Gemüse sich bis hierhin angesammelt hat. Herrn von Ribbecks Birnbaumgeschichte versteht man meist früh, deshalb lernen die Kinder das Gedicht von Herrn von und auf Ribbeck bis heute bereits früh in der Schule. Auch später kann man bei Fontane fündig werden unter dem Birnbaum, genauer gesagt im Keller des Hauses neben dem Birnbaum. Es ist ein anderer Baum und er steht in der Nähe der Oder, nicht der Havel. So schön abschweifend kann Literatur sein. Was ich allerdings nie genau verstanden habe, was ein Doppeldachhaus ist. Ein weites Feld. Getreide.
Noch ein kleiner Schnipsel: Ich war nur einmal in Tübingen. Damals stand am Hölderlinturm: "Hölderle isch ed ferrughd gwäh". Das "gwäh" habe ich nie vergessen, der Rest des Anschriebs findet sich, wenn man sucht, wohl in einem Buch "Wohin denn wir".
Foto: Der Hölderlin Turm in Tübingen mit Graffiti von Chris Schaal / K t s r: Verrücken (CC BY-SA 4.0).
Im Gedicht "Heidelberg" von Friedrich Hölderlin vergleicht dieser die Bögen der Brücke mit dem Flug eines Vogels. Einmal darauf hingewiesen von Professor Glück, sehe ich es immer wieder …
Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.
Foto rechts: Die Brücke 1945 (beide Bilder auf Wikimedia Commons, public domain).