Schnipsel eins: Fontanes Buddenbrook

Im 28. Kapitel von Theodor Fontanes Roman "Effi Briest" naht der Tod dem Verführer Major von Crampas. "Wer wird ihm sekundieren?" Es ist ein Freund, Buddenbrook. Diese kleine Entdeckung ist sicherlich so unbedeutend wie unbedeutend. Aber mit ihr kann ich das Anliegen der nächsten Projekte zeigen. Wie häufig ist der Name Buddenbrook in der Literatur, wie häufig kommt er vor? Gab es eine Anregung für Thomas Mann?

Mit dieser Homepage möchte ich ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder dem Zwang zur Recherche meiner inneren Sammlung von Verwunderungen, Anekdoten oder manchmal gar skurrilen Leseerlebnissen einen Ort geben, wo sie ungehindert im Netz schlummern können. Ich werde nicht weiter fragen, ob es zu diesen kleinen Verwunderungen schon Forschungsergebnisse oder Ideen gibt. Es tut gut, die Freiheit zu haben, nicht jeden persönlichen Klexx im Gedanken hinterfragen zu müssen. Frei nach Kant, der - glaube ich aufgeschnappt zu haben - sinngemäß gesagt haben soll, das Dilemma des Menschen sei, dass er mehr Fragen habe, als Antworten, oder so ähnlich.

Schnipsel zwei: Heinrich Böll in Irland … oder: Das zweitbeste Cottage

(c) Stefan Scheffler

Wenn man in Irland vor vielen Jahren auf die Insel Achill Island fuhr, konnte man selbst in den 1990er Jahren noch einen Hauch von der Abgeschiedenheit des Ortes in sich aufnehmen. Bis heute wird man immer noch Wolken finden, die vom Atlantik über die Küste wehen und die Hügel verschlucken. 1997 war ich in einem Hostel von Deidre, die einen Flaschenöffner an einem Bändel unter dem wehenden Rock trug und den alten Priester lobte - Gott hab ihn selig - der gerne zu viel trank und dann zugab, dass er Frauen immer sehr attraktiv fand. Der neue Priester hatte ein pinkes Surfbrett auf dem Peugeot-Coupé. Das Zitat, das Deidre brachte, hatte mit Eitelkeit, Kölnisch Wasser und Urin zu tun, ich werde es nicht wiedergeben. Bölls Eiland ist touristisch geworden. Das Cottage oben ist nicht das Cottage von Heinrich Böll, seines liegt in der zweiten Reihe gegenüber, ein Schild hängt am Tor, mit der Bitte um Ruhe ... Was immer die Kritiker an Bölls Tagebuch kritisiert haben, einen Teil seiner Sicht auf das Land wird man als Reisender auch heute noch finden. 

(c) Stefan Scheffler

Schnipsel drei: Joyce's Country

Über Joyce in Dublin, über Leopold Blooms Kartoffel zu schreiben, freue ich mich. Schnipsel drei ist nur eine kleine Fußnote - wenn wir schon in Irland sind - zum so genannten Joyce's Country in der Umgebung des Lough Corrib und Lough Mask. Hier wird man immer wieder auf den alten Namen Joyce treffen und man wird Informationen finden, die auf James Joyce verweisen. Ich weiß nicht, welche Verbindungen sich ziehen lassen, freue mich aber über jeden Namenszug, der ins Auge fällt.

Eine schöne Infoseite: http://maamvalley.com/history2.html

Fotos: (c) Stefan Scheffler

Schnipsel vier: Heinrich Heines Grab in Paris

(c) Stefan Scheffler

Es ist ein unglaublicher Ort. 5 Minuten von der Rotlichtmeile und dem Moulin Rouge entfernt, 15 Minuten bergauf und treppauf zum Sacré-Cœur: der Cimetière de Montmartre. Es gäbe so viel zu Heine zu schreiben. Die vielen Gedichtanfänge, die sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben ... "Denk ich an Deutschland in der Nacht ...", aber auch die Verse, die danach kommen: "sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser" ... Selbst in Liebesdingen kommt Heine in seiner frühen Dichtung nicht ohne den besonderen, und wenn auch nur sprachlich geführten Seitenhieb aus z.B. mit einem der längsten Reime der deutschen Sprache: "Sie saßen und tranken am Teetisch und sprachen von Liebe viel. Die Herren, die waren ästhetisch, die Damen von zartem Gefühl." Viele Gründe gab es, Deutschland zu verlassen, das freie Frankreich versprach ein Leben ohne Zensur. Ich habe mich gefragt, ob Heine glücklich wurde. Ich kenne die Biographie, die Matratzengruft. Ich wusste aber nicht, wie oft er in Paris die Wohnung gewechselt hat, weil es ihm zu laut wurde. Erstaunlicherweise habe ich erfahren, dass Heine nicht nur vor seiner französischen Ehefrau wohl seinen Ruhm etwas verschleiern konnte, sondern auch bis heute in den Köpfen als im Exil verarmter Schriftsteller herumgeistert. Er hatte Gönner, einen Hintergrund, literarischen Erfolg, mehr Geld, als er seiner Angst vor materieller Not zugestehen wollte. Sein Grab blinkt heute weiß, wo vieles im Grau der Abgase der Metropole vergilbt. Den Bildern kann man nicht trauen, der Cimetière de Montmartre ist nur bedingt eine Oase. Über einige Gräber fegt der vierspurige Großstadtverkehr hinweg - über ein Beton-und-Stahl-Ungetüm, das die Spitzen der Gräber einflussreicherer Zeitgenossen Heines gekappt hat. Heine erschließt sich in seinen Texten, es gibt einen, der die Macht seiner Progressivität verdeutlich, wenn er z.B. in seinem Gedicht "Die deutschen Zensoren" bis auf das Wort "Dummköpfe" nur das Auslassungszeichen sprechen lässt.

(c) Stefan Scheffler

Schnipsel fünf: Der längste Reim der englischsprachigen Literatur

Kaum ein Verlust des Ehepartners hat in der Folge zu einer ähnlichen Suche nach literarischem Ausdruck oder der Verarbeitung der Trauer durch literarischen Ausdruck geführt wie im Fall des englischen Dichters Thomas Hardy - diese Aussage treffe ich natürlich immer nur im Rahmen meines begrenzten, durch Schule und Studium genährten ANSATZwissens, über das ich eine Erinnerung verfüge.

 

 

Or is it only the breeze, in its listlessness
Travelling across the wet mead to me here,
You being ever dissolved to wan wistlessness,
Heard no more again far or near? 

Fotos: Florence Hardy 1915; Thomas Hardy gemalt von William Strang 1893 (auf Wikimedia Commons, public domain).

Schnipsel sechs: Hund auf Abwegen

Wenn einem jemals am Strand von Dublin - genauer am Sandycove-Strand - da, wo auch Bono von U2 irgendwo seine Villa hat - ein Köter entgegengerannt kommt, der Köter heißt "Tatters" und sorgt für orthografische und stilistische - vielleicht auch literarische Nervositäten. Der Mann, der ihn bändigen kann, ist Herr Schneider.

(c) Stefan Scheffler

Schnipsel sieben: Keitai - Georg Heym Gedenken

"Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal" - Warum Baal? Diese Frage hat mich als Schüler beschäftigt. Ich habe ihn immer gesehen, dort auf dem Häuserblock sitzend - feist - zornig - fordernd. Warum das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen, muss ich noch mal meine Schülerinnen fragen. Die Brauen werden ziemlich buschig sein und stürmisch hat es der Kerl mit seiner Fleischerfaust auch. Warum Baal? - Brecht fängt seinen Baal 1918 an, da ist Georg Heym schon sechs Jahre tot. Im Projekt Gutenberg findet man die angefangenen Tagebücher. Nach wenigen Sätzen greift die Faszinationskraft. Zunächst findet sich der Deutschlehrer in mir bestätigt, der die langweilige Formanalyse gerne schnell hinter sich lässt - das hat mich schon als Schüler genervt. Heym schreibt 1911: "Der Jambus ist eine Lüge. [...] Der gezwungene Reim ist eine Gotteslästerung." Touché! Wer spricht hier: "Ich schlage meine-Scheiß-Arsch-Scheiß-Sau juristische Scheiße auf." Später: "Ich will alles wissen, außer den verfluchten Lause-Scheiß-Sau-officiellen Zunftdisciplinen, wie der Narren-Scheiß Juristerei." (beide Zitate 1910) "Mein Gott - ich ersticke noch mit meinem brachliegenden Enthousiasmus in dieser banalen Zeit." Karl Moor sprach ähnlich. Viele weitere Äußerungen künden von Heyms Suche, seiner Verzweiflung, seinem inneren, jugendlichen Feuer - ausgelöscht in der eiskalten Havel, in der er 1912 ertrinkt, wohl bei dem Versuch seinen Freund Ernst Balcke zu retten, der ins Eis eingekracht ist. 

Beim Lesen über Heym erfahre ich, dass er schon als Schüler aufgrund eines Streiches von der Schule flog, ich wüsste gerne, was das für ein Streich war. Es soll 1905 gewesen sein, in dem Jahr taucht Ernst Balcke das erste Mal in den Tagebuchnotizen auf, die im Projekt Gutenberg abgedruckt sind. Wikipedia berichtet, dass Heyms Vater Jurist war, Heym fühlte sich genötigt, ... ja er wurde Jurist, bestand die Staatsprüfung und fing seinen Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichterfelde an. Wikipedia (ja ich weiß): "... wegen der unzulässigen Vernichtung einer Grundbuchakte vorzeitig entlassen ..."

Heym will es beim Militär versuchen, er schreibt sich aber auch im Orientalischen Seminar der Universität Berlin ein. Hat er hier Baal kennen gelernt? Wieder so eine Frage, die ich zur Seite lege. Wieder ein angefangener Gedanke, und noch eine Wendung: Heym besuchte Gräber, unter anderem das Grab Kleists, eines anderen Unglücklichen, Ringenden, Suchenden, der unter mysteriösen Umständen starb. Das ist eine andere Geschichte, dort am kleinen Wannsee 1811. Er selbst wünscht sich am 30. Oktober 1910: "Auf meinem Grabstein soll einmal nichts anderes stehen als ΚΕΙΤΑΙ Keine Namen, nichts. χείται Er schläft, er ruhet aus." Wie ihm dieser Wunsch erfüllt wurde, konnte man auf einem Blog von Oliver Ohmann nachlesen.

Bilder: Georg Heym, "Nachgelassene Gedichte" 1923 (auf Wikimedia Commons, public domain), der Grabstein mit der Aufschrift Keitai in Berlin, (c) Stefan Scheffler.

Schnipsel acht: Ataraxia

(c) Stefan Scheffler

Alexander Demandt schreibt in seinem Nachwort zu Marc Aurels "Wege zu sich selbst" in der "Kleinen Bibliothek der Weltweisheit": "Epiktet lehrte, daß alle Menschen Gottes Kinder sind; daß wir alles, was in unseren Kräften steht, zum Guten wenden, nicht aber beklagen sollen, was wir nicht ändern können. Dies sei für uns unerheblich (adiaphoron). Wer immer strebend sich bemüht und sich von Leidenschaften freihält (apatheia), erlangt Seelenfrieden (ataraxia)." Mit dem "strebend sich bemühen" kenne ich noch jemanden. 

Dann gibt es aber den Text von Reinold Niebuhr: 

 

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
Courage to change the things I can,
And wisdom to know the difference.

 

Weit über 1800 Jahre sind die Texte von Marc Aurel alt, er sagt: "Wer nicht weiß, was die Welt ist, der weiß auch nicht, wo er lebt. Wer aber den Zweck ihres Daseins nicht kennt, der weiß weder, wer er selbst, noch was die Welt ist. Wem aber eins von diesen Stücken fehlt, der kann auch wohl seine eigene Bestimmung nicht angeben. In welchem Lichte nun erscheint dir ein Mensch, welcher um den lauten Beifall derer buhlt, die nicht wissen, wo, noch wer sie selbst sind?"

Schnipsel neun: Engel fliegt auf dem Rücken

(c) Stefan Scheffler

Es gibt so viele Engel und Engelmotive, dass ein kurzes Schreiben hierzu zum Scheitern verurteilt ist. Der gefallene Engel Luzifer, die Schutzengel, die Todesengel, Engel und Dämonen, Engelsburg Rom, Engel über Berlin, der Engel der zukünftigen Weihnacht ... Am liebsten würde ich gleich über Sten Nadolnys Gott der Frechheit schreiben, dieser Hermes mit seinen Flügeln an den Füßen, der kein Engel ist, und ich darf später auf keinen Fall den Geist von Hamlets Vater vor den Toren des Schlosses stehen lassen, als ob es sich nur um eine elisabethanische Zeitgeistigkeit Shakespeares handelte und dann die seltsame Assoziation mit dem Schwarzen Ritter in Schillers Jeanne d'Arc ... Das Engelsmotiv in Uwe Timms Roman "Halbschatten" ist überstrapaziert wie so vieles in diesem Buch. Je öfter ich das Buch in die Hand nehme, desto besser wird es allerdings - und eine Idee hat sich mir wohl auf lange Zeit in den Geist eingebrannt: der Engel, der auf dem Rücken fliegen können muss ... dies behauptet der Fluglehrer von Marga von Etzdorf. Meine Bewunderung gilt dieser Frau.

Ernst Udet war ein gefallener Engel, er ist ein Nazi am Ende, ein Selbstmörder. In Timms Roman bekommt er eine Stimme, einen Hinweis. Auch er liegt auf dem engelbesetzten Invalidenfriedhof in Berlin. Hier der Link auf eine Filmsequenz, eine Landung ohne Motor, ein in Kauf genommener Sturz. Er war der zweitbeste Held nach Baron von Richthofen im ersten Weltkrieg. Ich habe seine biographischen Erinnerungen gelesen - ein Täter mit Überzeugungen. Es fällt mir schwer, ob ich meiner Bewunderung seiner Flugkunst hier Raum geben soll … wieder eine Frage: https://www.youtube.com/watch?v=M2CBx7x5GCI

Schnipsel zehn: Rilkes kichernde Splitter

Der letzte Schnipsel der ersten zehn, nur ein kleiner Schnipsel eingebrannter Worte. Viel vergesse ich von Büchern, selbst wenn sie mir beim Lesen wichtig waren, selbst wenn ich sie mehrmals gelesen habe. Oft bleibt ein Bild in der Erinnerung, eine Idee, ein Satz, etwas wie gleich auf der ersten Seite: "Eine Tür fällt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich höre ihre großen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern."

In der Nähe meiner Schule gibt es ein düster dreinschauendes Grafenhaus ziemlich versteckt im Wald, das man vom Zug aus kurz vor Marburg erkennt, wenn man weiß, wonach man schauen muss. Hier fand Rilke kurzzeitig einen Ort des Rückzugs.

(c) Stefan Scheffler